Lifestyle | 24.11.2020
Familiensache Tunnelbau
Holpriger Start
Also nein, finster sei es bei der Arbeit im Tunnel nicht: „Es ist ja alles ausgeleuchtet, dazu haben wir Stirnlampen“, erzählt Michael Dreier. Aber kalt ist es? Dreier schüttelt den Kopf: „Nein. Es ist heiß.“ Heiß? Warum? „Man arbeitet auf engstem Raum und die Maschinen strahlen Wärme ab.“ Tief im Berg spiele auch Erdwärme eine Rolle.
Der Gesprächsstart mit Michael Dreier aus Mittertrixen ist ein holpriger und bestätigt: Er und seine drei Söhne Michael jun., Manuel und Martin arbeiten unter Tage in einer anderen Welt. Einer Welt, von der man als Büro Tiger keine Ahnung hat.
Meter für Meter
Als Mineure schlagen sie – grob umrissen – Öffnungen durch Berge, damit Verkehrstunnel für Autobahnen, Straßen oder Züge errichtet werden können. Meter für Meter kämpft man sich im Vortrieb, wie es im Fachjargon heißt, per „Handarbeit“ mit Bagger und Sprengungen durch Granit, Gneis und Co. Das gelöste Gestein wird auf Muldenkipper geladen und abtransportiert. Die freigelegten Flächen werden mit Felsankern, Beton und Stahlelementen gesichert. Je nach Anforderungen können danach Tunnelbohrmaschinen zum Einsatz kommen. Wie etwa beim Koralmtunnel (ÖBB) und beim neuen Gotthard-Tunnel (Schweiz), der mit 57 Kilometern der längste Eisenbahntunnel der Welt ist - um nur zwei Megaprojekte zu nennen, an denen die Dreiers beteiligt waren.
Unwägbarkeiten sind Teil jedes Projekts: „Du bist als erster Mensch dort. Jeder noch so genau erkundete Gebirgsbereich kann Überraschungen bergen. Man weiß nicht, was der nächste Meter bringt: Wasser zum Beispiel oder Störzonen. Gold war jedenfalls noch nicht dabei“, lacht Martin Dreier.
Gefahren
Dass diese Arbeit im unberechenbaren Berginneren mit und zwischen schwerem Baugerät Fehler nur schwer verzeiht, kann man sich denken. Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen sind Gefahren präsent, auch tödliche Unfälle können passieren. Schwere Verletzungen hat es bei den Dreier-Männern, die in der Branche als 3A-Team bekannt sind, glücklicherweise nicht gegeben. Manuel Dreier wurde einmal von Gestein verschüttet, hat sich aber von Abschürfungen und Prellungen erholt. Ob ihm das Angst gemacht habe, wollen wir wissen: „Wenn du Angst hast, darfst du da nicht reingehen“, sagt er. Sein Vater ergänzt: „Jeder Handgriff muss sitzen. Hier muss sich jeder auf den anderen verlassen können, jeder muss aufpassen und immer voll da sein.“
Lärm & Hilfe von oben
Voraussetzungen für die Arbeit als Mineur sind eine gute physische und psychische Verfassung sowie eine Konzentrationsfähigkeit, die ihresgleichen sucht. Denn neben allen bis jetzt aufgezählten Risiken darf man nicht vergessen, dass es aufgrund der Maschinen und Sprengarbeiten an diesem Untertage-Arbeitsplatz immer staubig und laut ist.
Eine kleine Hörprobe bekommt das MONAT-Team beim Fotoshooting: Während die Fotografin die Dreier-Männer beim Tunnelportal in Szene setzt, wird an den Basaltwänden an Steinschlagüberbauten gearbeitet - so dass einem von den schlagenden Bohrgeräuschen die Ohren klingeln. Angesichts der Lärmkulisse wünschen sich die - in diesem Fall sehr empfindlichen Ohren - zurück ins Büro.
Etwas ratlos lässt man den Blick schweifen, da fällt zwischen den Tunnelportalen eine Ikone auf, daneben der Bergmannsgruß „Glück Auf!“: „Das ist die heilige Barbara, unsere Schutzpatronin“, wird erklärt. Sie sei bei jedem Projekt dabei. Wir glauben es den Mineuren gerne, dass sie jede Hilfe annehmen, die sie kriegen können: „Dass man heil heimkommt zur Familie, das ist das Wichtigste“, sagen die Dreier-Söhne, die mittlerweile selbst alle schon Väter sind.
Wie es dazu kam
Dass man im Vortrieb in Teams arbeitet, ist gang und gäbe. Dass man als Familie mit weiteren Kollegen ein Team bildet, ist außergewöhnlich: „Ich war Vollerwerbsbauer. Das war finanziell oft nicht einfach. Dann bin ich über einen Freund zum Beruf des Mineurs gekommen“, erzählt Michael Dreier, der auch Sprengmeister ist. Auch für Michael jun., Manuel und Martin war schnell klar, mit dem Vater mitzuarbeiten: „Das macht halt nicht jeder“, so Manuel. Michael jun. ergänzt: „Wir sind sehr viel unterwegs, aber die Arbeit - zehn Tage Schichtbetrieb, dann vier Tage frei - ist gut bezahlt.“
Michael Dreier, der nun nach über 20 Jahren den Mineurs-Helm an den Nagel hängt, freut sich jedenfalls, dass er so viel Zeit mit seinen Söhnen verbringen konnte: „Ich habe es genossen! Mein Vater und ich sind nicht gut miteinander ausgekommen. Ich wollte das anders machen.“ Dass er seine Kinder - neben den drei Söhnen hat er eine Tochter - auch in der Pension oft sehen wird, ist fix: Immerhin wohnen die vier nicht weit vom Haus und der Landwirtschaft der Eltern entfernt.