People | 19.05.2016
Elegante Rebellin
Fantastin mit Bodenhaftung
Da war sie nun. Ohne Gitarre, ohne Handy, ohne Internet. Irgendwo in den USA, weit weg von allem und allen. Mit Anfang 20. Ihre Begleiter: Reisende, die sie zuvor nie gesehen hatte. Manchmal trennte sie vom funkelnden Sternenhimmel nur ein dünnes Zeltdach und die Kojoten heulten gänsehauterregend nahe. Ob sie etwas gesucht hatte? Jedenfalls fand sie etwas. Es waren nur wenige Wochen, der Output überbordend. „Plötzlich habe ich mich dabei ertappt, dass ich Luftgitarre spiele“, schmunzelt Mira Lu Kovacs und fährt sich durch das fantastisch rote Haar. Als die Reise beendet war und sie wieder in ihrer temporären Untermiete in New York, borgte sie sich eine Gitarre aus und schrieb alles, was ihr durch den Kopf getänzelt war, nieder. Gar nicht so viel später – sie kehrte bald nach Österreich heim – brachte die gebürtige Niederösterreicherin mit ihrer Formation „Schmieds Puls“ ihr Debütalbum auf den Markt: „Play Dead“. Zwei Jahre später treffen wir sie zum Interview und dürfen gratulieren: Zum viel gelobtenAlbum „I care a little less about everything now“ – und zum „FM 4 Amadeus Award 2016“, den seit 2008 keine Frau mehr abgestaubt hatte. „Eine schöne Auszeichnung“, sagt Mira Lu Kovacs. Aber sie müsse aufpassen, zu viel Aufmerksamkeit sei nicht gut fürs Ego. Viele hätten schon die Bodenhaftung verloren. „Ich bin lieber vorsichtig.“
Kreative Mütter
Aufgewachsen war Mira Lu Kovacs in Neulengbach. Mit der älteren Schwester und dem jüngeren Bruder, die sie beide gleichermaßen bewundert, ebenso wie „Mama, ihren Fels in der Brandung“.Sie sei die Träumerin der Familie gewesen, habe als Kind mal ein Krimi verfasst, mal ein Klagelied für ihre heiß geliebte Katze Steffi komponiert, als sie dem Straßenverkehr zum Opfer fiel.
Kreativ war schon ihre Oma, auch ihre Mama, aber eher in Richtung Bildender Kunst. Mira Lu allerdings ist die erste, die sich vollends ihrer kreativen Laufbahn widmen kann. Ein bisschen auch darum jetzt keine Familienpläne, kein Kinderwunsch. „Vielleicht auch nie“, zuckt sie mit den Schultern. „Ich habe alle Hände voll zu tun, mich selbst durchs Leben zu tragen und sehe es ein bisschen als meine Aufgabe so viel zu reisen und zu entdecken wie nur möglich, denn das war Frauen allerorts lange Zeit – und wir stoßen nach wie vor an Grenzen – nicht vergönnt“, beschreibt Mira Lu Kovacs. Erst kürzlich, als sie in Großmutters Mantel durch Paris schritt, kam ihr der Gedanke: „I’m travelling in her coat and in her name“ (Ich reise in ihrem Mantel und in ihrem Namen).
Nach der Volksschule, an der Schwelle zum BORG St. Pölten bekommt sie eine Gitarre in die Hand gedrückt. „Es war mir ein Mysterium“, gibt sie heute zu. Zum treuen Weggefährten begann sich das Saiteninstrument Dank eines Lehrer zu entwickeln, der ihr riet, ihr Spiel mit ihrem Gesang zu bereichern. „Der Garten“ hieß das erste Lied, das sie schließlich mit zwölf Jahren verfasste.
Im Gedächtnis festgekrallt hat sich von der Unterstufe außerdem eine „unfassbar großartige“ Aufführung von „Carmina Burana“, in das praktisch sämtliche und somit mehrere Hundert Schüler involviert waren. Es soll dort ihr Abschlussauftritt als Chormitglied sein; mit 14 Jahren wechselt sie ins Musikgymnasium nach Wien. Kreative Freiräume vermisst sie dort genauso wie später beim Studium.
Zunächst noch voller Euphorie über die Aufnahme an der Anton Bruckner Universität Linz, engt sie dort bald das Regelwerk ein. „Um Musik und Kunst zu studieren, ist eine Uni nicht der richtige Ort. Und das sage ich mit größtem Respekt vor all meinen fantastischen Lehrerinnen und Lehrern. Sie ist aber gut zum Netzwerken“, findet sie. Nach sechs Jahren bricht sie das Studium ab.
Aus Violett wurde Blau
Eine Vielzahl an Bands säumt Mira Lu Kovacs’ Laufbahn. Mit 13 Jahren ist es eine Folk-Combo mit ihrem Lieblingslehrer und SchulkollegInnen, später eine Band mit einer Freundin unter dem klingenden dänischen Namen „Blomme“ (dänisch: Pflaume), mit den „Zuckerkindern“ macht sie Elektropop. Doch vieles „fühlte sich violett an, obwohl Blau meine Sprache war“, deutet sie jene kraftvolle Poesie an, die ihren – übrigens ausschließlich englischen – Liedtexten innewohnt.
Damals, Anfang 20 in den USA, ging sozusagen der Knopf auf. Und das Zusammenfinden danach mit Kontrabassist Walter Singer und Schlagzeuger Christian Grobauer war glückliche Fügung, die sie bis dato mit Dankbarkeit erfüllt. Die Herren verstehen offenbar diese besondere Gangart der 27 Jahre jungen Künstlerin, deren Haut Elfenbein gleicht, deren Worte wohl überlegt ihren Mund verlassen, deren Stimme zwar ganz oben daheim ist und die aber nahezu empört ist, wenn sie mal in der falschen Schublade landet. „Lieblich ist meine Musik sicher nicht“, betont sie so vehement, wie keine einzige Sekunde zuvor im Gespräch. Starke Frauen wie Joni Mitchell und Ani DiFranco schritten ihr als Vorbilder voran; dass sie ihre Videos fast ausnahmslos mit Frauen macht, ist kein Zufall. Ein elegant feministischer Ansatz leitet sie dabei.
Sie alle müssten jedenfalls mit ihrem Perfektionismus klarkommen, wobei sie am strengsten zu sich selbst sei. „Eigentlich bin ich vor jedem Auftritt furchtbar nervös. Meine große Angst ist es, meinen eigenen Vorstellungen nicht gerecht zu werden“, sagt sie. „Aber schließlich gewinnt immer die Musik.“
„Erst noch Mira Lu Kovacs gehört haben, dann möglicherweise sterben. Was diese Frau
aus ihren beiden Instrumenten, sowohl ihrer virtuos wandelbaren Stimme als auch ihrer mit klassischer Fingertechnik gezupften akustischen Gitarre herauszuholen versteht, ist auf die ruhigste vorstellbare Weise spektakulär.“ Robert Rotifer, FM4
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