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People | 14.12.2018

Denken Sie AN DEN TOD Herr Klammer?*

(* „Ich habe mir ein Grab gekauft. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich es gleich benutzen muss“, sagt der Olympiasieger.) Ein Gespräch zum 65. Geburtstag des letzten Kaisers. Von Stefan Jäger

Der nächste Termin ist nur eine Stunde entfernt. Vielleicht auch eineinhalb. Von Stress keine Spur. Franz Klammer, kennt es nicht anders. Er ist der letzte Kaiser – und Adel verpflichtet.


MONAT: Herr Klammer, wie sehr stört Sie dieses Interview?
FRANZ KLAMMER: Wegen des Alters oder des Geburtstags? Da habe ich keine Berührungsängste. Bis jetzt hat noch kein Geburtstag weh getan.


Die legendären Feiern schon?
KLAMMER: (lacht) Meistens weiß ich ja vorher nix davon. Bei meinem 40er haben sie in Telluride in Colorado einen kompletten Straßenzug gesperrt und die ganzen alten Schilegenden eingeladen. Zwei Wochen später ist meine Tochter auf die Welt gekommen. Mehr brauch ich nicht sagen.


Sie werden 65 – ist zumindest der Partykaiser ruhiger geworden?
KLAMMER: (lacht) Ruhiger nicht, aber ich brauch schon ein bisserl länger, wenn ich eine Nacht durchmache – und auf den Schi bin ich sicher eine Spur langsamer als früher. Man kann den Körper nicht immer nur strapazieren, deshalb gehe ich mit zunehmendem Alter die Dinge bewusster an.


Heute wird – nicht nur im Sport – jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Gibt es noch echte Helden?
KLAMMER: Definitiv. Schauen Sie sich einen Hirscher an. Oder einen Tiger Woods. Die sind in ihrem Sport Helden und Marken. Heute muss man funktionieren, wir haben ein bissl Sport gemacht.


Die können aber nicht mehr ein Bier zu viel trinken, ohne dass plötzlich eine Handykamera da ist und es 10 Sekunden später im Netz steht.
KLAMMER: Absolut! Wir wurden ja größtenteils in Ruhe gelassen. Die Menschen haben heute so ein unglaubliches Mitteilungsbedürfnis. Dazu muss man fairerweise aber sagen, dass wir halt Amateure und ganz normale Leute waren. Heute fahren Millionäre den Berg hinunter.


Ist ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel in Ihren Augen ein Diktator?
KLAMMER: Er schafft vor allem das Geld herbei, damit Spitzensport unter professionellen Bedingungen möglich ist. Aber sicher ist er auch ein Diktator.  Vielleicht muss er das aber auch sein.

Womit verbringen Sie  Zeit?
KLAMMER: Mit Dingen, die mir Spaß machen. Das ist mein Privileg. Golf, Schifahren, Radfahren. Mit der Familie und Freunden zusammen sein. Um das herum habe ich alles aufgebaut.


Genießen Sie bewusster?
KLAMMER: Natürlich. Das ist wahre Freiheit, die mein Leben für mich so lebenswert macht. Wenn ich oben stehe am Berg und es ist ein perfekter Tag – was gibt es Schöneres?


Also keine zweite Midlife-Crisis?
KLAMMER: Nein. Ich habe mir auch  vor 20 Jahren kein scharfes Auto oder ein Motorradl gekauft. Das heißt, es gibt zwei Möglichkeiten: Ich hatte keine, oder mein ganzes Leben ist eine und ich merke es nur nicht.


Wie geht es Ihrer Familie damit?
KLAMMER: Meine Familie ist nach wie vor der Rückzugsort, wo ich meine Wunden lecken kann. Dann kann ich wieder loslegen.


Es gibt da eine Anekdote. . .
KLAMMER: . . .die mir meine Frau erzählt hat. Meine Töchter haben sich als kleine Kinder über mich unterhalten. Die Stephanie hat dann zur Sophie gesagt, dass sie zwei Papas hat. Einen, der nie daheim ist und einen unten im Keller. Dort war eine Pappfigur von mir, die ein Sponsor angefertigt hat.

Macht das nachdenklich?
KLAMMER: Natürlich. Ich war viel zu selten Zuhause. Meine Tätigkeit bestand und besteht darin, unterwegs zu sein. Ich habe halt keinen Bürojob, wo man in der Früh aus dem Haus geht und am Abend wieder zurück ist. Das Schöne daran ist, dass ich dazwischen eine Woche oder 10 Tage Zeit habe.


In einem Interview zu Ihrem 50er stand: „Franz Klammers Job ist es, Franz Klammer zu sein.“ Hatten Sie nie Bedenken, etwas von einem anderen Leben zu versäumen?
KLAMMER: Im Gegenteil. Das hat mir soviel Schönes eingebracht. Ich habe Dinge erlebt und getan, die ohne meine Erfolge nie möglich gewesen wären. Für mich war das immer ein Gewinn. Die paar negativen Sachen, die mir widerfahren sind, vergisst man eh. Ich habe keine Liste, die ich abhakeln muss um glücklich zu sein.


Was meinen Sie?
KLAMMER: Es gibt Leute, die ständig neue Ziele brauchen – einmal auf den Mount Everest, oder was weiß ich. So bin ich nicht. Das gibt mir nichts. Mir läuft die Zeit nicht davon.


Dabei heißt es doch: Je älter man wird, desto näher kommen die Einschläge. Man verliert allmählich die ersten Freunde oder Bekannte.
KLAMMER: Das ist eine wahre Sache. Die Freunde sind plötzlich nicht mehr 40, sondern 60 oder 70 Jahre alt.  


Waren Sie sich als Schifahrer des Risikos bewusst: Schnell leben, früh sterben quasi?
KLAMMER: Das Risiko ist ja der Reiz! Die Gefahr ist der Reiz – und, dass man mit ihr spielt! Wo ist mein Limit? Wie weit kann ich gehen? Das ist das Salz in der Suppe. Das zu erleben macht das Leben intensiver. Also, wenn man bereit ist Risiko zu gehen, mit dem umgehen kann und das in Erfolge ummünzt.


Deshalb auch der Ausflug in den Motorsport. Geht es ohne Kick nicht?
KLAMMER: Mich hat der Helmut Marko angerufen und gefragt, ob ich das machen will. Das war eine Abwechslung. Aber ich wollte da nichts erzwingen, das war nur ein kleiner Teil meines Geschwindigkeits-Lebens, der viel Spaß gemacht hat. Aber es war kein Vergleich zum Schifahren.

Warum denn nicht?
KLAMMER: Weil ich Schifahrer war. Mit 14 wusste ich, ich werde Schirennen fahren. Autorennen sind schön, aber das andere, das war tief in mir drinnen. Das war mein Leben.

Denken Sie an den Tod?
KLAMMER: Eigentlich nicht. Ich habe mir ein Grab besorgt. Solche Dinge muss man vorbereiten. Ich muss es ja nicht gleich benutzen, weil ein paar runde Geburtstage will ich schon noch feiern. Es gibt ja keinen Grund sich damit verrückt zu machen, dass man ein Auslaufmodell ist.

Ihr Bruder Klaus sitzt seit einem Schiunfall im Rollstuhl.  
KLAMMER: Wir beide wissen genau, dass so etwas passieren kann. So hart das klingt, aber das ist einfach Pech. Vor allem, wenn es sich um einen austrainierten Sportler handelt. Klaus ist mein Steuerberater und wir freuen uns jedes Mal, wenn wir uns sehen.

Die Fähigkeit, das auszublenden trennt im Sport die Spreu vom Weizen.
KLAMMER: Dem kann ich nur zustimmen. Weil, wenn du oben stehst und es nicht schaffst, diese Dinge momentan auszublenden oder sogar völlig zu blockieren, dann brauchst erst gar nicht wegfahren. Das wird dann nichts.   Mit dem im Hinterkopf kann kein Spitzensportler performen.    

Hatten Sie ihm gegenüber jemals ein schlechtes Gewissen?
KLAMMER: Nein, er hat das gemacht, was ihm wichtig war: Er war Schifahrer. Er hat das so akzeptiert. Einer der wesentlichsten Dinge, die ich in meinem Leben gelernt habe ist, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist.

Viele erfolgreiche Ex-Sportler schaffen den Sprung in ein „normales“ Leben nur schwer. Warum?
KLAMMER: Man tut von Kind auf etwas, in dem man wirklich richtig gut ist. Zum Karriereende hin muss man sich dann plötzlich mit der Ungewissheit herumschlagen, ob das immer so bleibt. Man weiß ja nicht, was danach kommt und wo eigentlich die Stärken abseits des Sports liegen. Deshalb schieben ja viele ihr Karriereende immer wieder hinaus. Was danach kommt, fühlt sich wie ein Abstieg an. Gott sei Dank habe ich mich nie so gefühlt. Aber den Adrenalinschub am Start, den kann dir danach nie mehr wieder etwas geben.

Warum haben Sie aufgehört?
KLAMMER: Mit 32 bin ich am Start gestanden und habe mich gefragt: Was tue ich eigentlich da? Ich bin hinuntergefahren, habe die Brettln abgeschnallt und gewusst: Das war es jetzt für dich. Ich habe nie mehr zurückgeschaut und war ich froh, dass ich einen Schlussstrich gezogen habe.

Sie werden sogar heute noch in Asien auf der Straße erkannt.
KLAMMER: Boris Becker und ich waren als Laureus-Charity-Botschafter in Peking unterwegs als eine Gruppe von Europäern mich auf der Ausgehmeile angesprochen hat. Der Becker war fertig, weil von ihm wollte keiner was. Dass das alles Strabag-Mitarbeiter waren, die dort eine Brücke gebaut haben, weiß der bis heute nicht. . .

Wollen Sie erkannt werden?
KLAMMER: Im Englischen würde man sagen: „It pays the bills“ („Das bezahlt die Rechnungen.“)

Apropos Rechnungen. Nach dem Niedergang Ihrer Modelinie waren Sie einst wirtschaftlich am Boden.
KLAMMER:  Das war ein teures Lehrgeld, aber es war auch meine Entscheidung. Im Endeffekt habe ich mich von Leuten beraten lassen, die selbst keine Ahnung von dem Geschäft hatten.

In den USA kennt man zwei Schifahrer. Hermann Maier, weil er sich in Nagano erst ungespitzt in den Boden gerammt und am nächsten Tag Olympiagold gewonnen hat, und dann Sie.
KLAMMER: ABC Sports hat mich in der Sendung „Wide World of Sports“ zwei Jahre lang praktisch bei jedem Rennen gezeigt. Das ist picken geblieben und ich bin seitdem jedes Jahr sechs oder sieben Wochen drüben.

Früher waren bei Schirennen die Straßen leer und die Gasthäuser voll. Das scheint sich zu ändern.
KLAMMER: Der Österreicher hat sich damals mit Schifahren identifiziert. Heute lernen viele Kinder das Schifahren nicht einmal mehr. Das macht die Sache komplizierter.