People | 21.05.2019
Der Mann mit den Torpedos
Wenn eine Partei ein Schiff ist, dann bin ich lieber im Maschinenraum als beim Captains-Dinner“, erklärte Herbert Kickl, „denn unter der Wasserlinie ist der Torpedoraum.“ Seit er Innenminister ist, sitzt er zwar beim Captains-Dinner, Torpedos schießt er trotzdem ab. Ein paar Beispiele: Er wollte Flüchtlinge „konzentriert unterbringen“ und die Polizei anhalten, nur „freundliche“ Medien mit Informationen zu versorgen. Er schickte ein Polizeikommando zum BVT und suspendierte dessen Leiter. Er stellte die Menschenrechtskonvention in Frage und möchte, „dass das Recht der Politik folgt und nicht die Politik dem Recht“. Die Folge: Sechs Misstrauensanträge im Parlament in knapp mehr als einem Jahr. Ein Rekord.
Auch in der Bevölkerung polarisiert der kleine Mann mit den Nickelbrillen, der gerne Jeans, weiße Hemden und Sportschuhe trägt und so gefährlich aussieht wie Reinhard Mey (copyright: der Standard). Laut Umfragen empfindet die Mehrheit der Österreicher Herbert Kickls Rechtsverständnis als „gefährlich“. 52 Prozent meinen, der Innenminister wolle sich „Gesetze zurechtbiegen“ und rund 40 Prozent halten ihn für rücktrittsreif.
Aber wer ist Kickl wirklich? Eine Spurensuche. Die führt in seinen Geburtsort Radenthein. Dort wuchs Kickl in der Erdmannsiedlung inmitten von Arbeitern auf. Eine Siedlung, die im Ort kein großes Ansehen genoss. „Die dort unten sind alle deppert, weil sie am meisten Rauch vom Betrieb abbekommen“, hieß es damals. Heute stehen dort schmucke, etwas gedrungene Einfamilienhäuser mit zum Teil putzig kleinen Fenstern und man fragt sich, wohnen da die Hobbits?
In Kickls Kindheit lebte der Ort von einem Betrieb: Veitsch-Radex.
Dort arbeiteten seine Eltern und der kleine Herbert besuchte die Volksschule. Er versuchte sich als Judoka und als Fußballer, konnte aber nicht in die Fußstapfen seines Vaters Andreas treten, der Ende der 60er- und zu Beginn der 70er-Jahre für die WSG Radenthein in der höchsten österreichischen Spielklasse Fußball spielte. Politisch waren die Rollen zu der Zeit in der Gemeinde klar verteilt. „In den 70er- und 80er- Jahren hätte die SPÖ auch Mickey Mouse als Bürgermeisterkandidaten aufstellen können und sie wäre gewählt worden“, meinte der Innenminister einst launisch. Heute schaut‘s anders aus. Den Bürgermeister stellt die ÖVP und bei der Nationalratswahl war die FPÖ die stärkste Partei.
Im zirka fünf Quadratmeter großen Hinterstüberl der Shell-Tankstelle werden schon am Vormittag die ersten Bier aufgerissen. Ein paar Männer stehen um ein Stehpult, zwei sitzen an einem alten, leicht ramponierten Holztisch. Das Milieu? Arbeiter und Frühpensionisten – Kicklland. Was halten sie vom wohl bekanntesten Sohn des Ortes? Peter, nennen wir ihn halt so, kommt ins Schwärmen: „Der ist der Beste, der räumt mit dem ganzen Saustall auf.“ Zwei Dinge merkt man sofort: Da sitzt ein Freiheitlicher von der Glatze bis zur Sohle und für differenziertes Denken bleibt in seiner Welt wenig Platz. Kickl hat er kaum gekannt. „Der war ein Einzelgänger und war gleich einmal weg“, er ordert ein Achterl, bekommt aber ein Viertel im kleinen Flascherl und erzählt weiter: „Meine Freundin ist mit ihm in die Volksschule gegangen. Er war blitzgescheit, aber ein Exzentriker par excellence.“
Aber zurück zu Kickls Werdegang.
Nach der Volksschule ging es ins Gymnasium nach Spittal. Hört man, was Schulkollegen über ihn sagen, zeichnet sich ein aus heutiger Sicht fast irrwitzig dialektisches Bild: „Herbert war sehr sozial und hilfsbereit und deshalb in der Klasse sehr gut integriert“, erklärt ein Mitschüler. Ein Eindruck, der auch von einem anderen Schulkollegen bestätigt wird, der fügt jedoch hinzu: „Er hatte ein Faible fürs Militär, das war ein bisschen komisch.“
Gute Aufsätze. In der Maturazeitung wurde er gar als „ein lässiger Typ“ beschrieben. Eva Glawischnig, die spätere Frontfrau der Grünen, drückte mit ihm die Schulbank. Die beiden duellierten sich um das Amt des Klassensprechers. „Beide waren sehr selbstbewusst und zielstrebig und bei beiden merkte man schon sehr früh ihr rhetorisches Talent“, erinnert sich ein Lehrer und ein Mitschüler berichtet: „Die schrieben so gute Aufsätze, dass sie die Deutschlehrerin vor der Klasse vorlas.“ Die Klassensprecherwahlen gewann immer Glawischnig, die später in einem ORF-Interview über ihren Schulkollegen meinte: „Ich habe ihn als gescheiten, hilfsbereiten Jugendlichen geschätzt. Danach haben wir uns aus den Augen verloren und in verschiedene Richtungen entwickelt.“ Er selbst verknüpft mit seiner Jugend- und Schulzeit schöne Erinnerungen. „Wir hatten eine tolle Klassengemeinschaft, waren sicher nicht die bravsten Schüler.“ In sein Heimatdorf kommt er nur noch selten, trotzdem erklärt er: „Ich bleibe immer ein Radentheiner.“
Links geprägt.
Nach der Matura leistete er von 1987 bis 1988 als Einjährig-Freiwilliger seinen Wehrdienst bei den Gebirgsjägern in Spittal ab. 1988 begann er, an der Universität Wien Publizistik und Politikwissenschaft zu studieren. „Das war mir aber zu wenig wissenschaftlich. Über die Erkenntnistheorie bin ich dann zur Philosophie gekommen“, erinnert sich Kickl. Über die Zeit an der Uni sagt der von Platon, Luther, Rousseau und Kant inspirierte Rechtshegelianer heute: „Das Institut war stark links geprägt, aber es gab einen konservativen Professor, der für mich sicher zum wichtigsten Lehrer wurde.“ Abgeschlossen hat er seine Studien trotzdem nicht. 1995 heuerte Kickl dann bei der FPÖ an. Angeblich mit der Aussage: „Ich kann nichts, aber ich kann alles lernen.“ Jörg Haider hatte ihn schon in der Schulzeit
fasziniert: „Der war ganz anders als meine Lehrer, die waren fast alle links, auf eine billige Art links.“
Zu Beginn durfte er für Haider Tee kochen, später Gags liefern
„Dass ich Haiders Reden geschrieben habe, ist ein ausgemachter Blödsinn. Ich musste ihm nur ein Repertoire von Sprüchen liefern.“ Nicht zu den Sternstunden der deutschen Literatur gehören seine Wahlkampfslogans „Lieber daham als Islam“, „Wiener Blut – zu viel Fremdes tut niemand gut“ oder „Abendland in Christenhand“. Allesamt über der Grenze des Erträglichen und allesamt „im Suff entstanden“, wie sich Stefan Petzner erinnert. Was Kickl auf das Heftigste dementiert: „Petzner war bei der Genesis keines einzigen Spruchs dabei, keine Ahnung, woher er das hat.“ Das seine literarischen „Auswürfe“ kritisiert wurden, ließ und lässt ihn kalt: „Ich habe keinen literarischen Anspruch, aber Reime gehen besser ins Ohr, bleiben besser im Kopf.“ Bei der Trennung zwischen FPÖ und BZÖ blieb Kickl bei den Freiheitlichen. „Aus Kalkül“, meint Stefan Petzer, „Strache hat ihm den Posten des Generalsekretärs versprochen.“
Kickl sieht es anders. Ihn hätten Haiders Ego und seine Sprunghaftigkeit gestört, außerdem hätte er es nicht ausgehalten, wie „die alternde Diva Haider“ mit dem jungen aufstrebenden Strache umgesprungen sei. Unter seiner Zeit als Generalsekretär eilte die FPÖ von Erfolg zu Erfolg. Aber selbst Leute in der eigenen Partei wissen nicht, wer Kickl ist. Sicher ist nur, er wird gefürchtet. „Auf den ersten Blick schaut er harmlos aus“, sagt Stefan Petzner, ,,aber er ist unberechenbar, skrupellos und lässt sich niemals in die Karten schauen. Er ist Straches Hirn, der heimliche Chef und ohne ihn geht in der Partei gar nichts.“ Ein blauer Mitstreiter analysiert: „Solange Kickl erfolgreich ist, wird er in der Partei keine Feinde haben – nur Freunde hat er auch nicht wirklich. Er ist ein Einzelgänger.“ Das spiegeln auch seine Hobbys wider: Bergsteigen, Triathlon. Wenn es geht extrem. So war er beim Celtman, einem Extremtriathlon in Schottland am Start und hat bei einer ähnlichen Veranstaltung in Frankreich nach 23 Stunden gefinisht.Mit seiner Frau und seinem Sohn lebt er in Purkersdorf bei Wien. Für Sport und die Familie bleibt im Moment wenig Zeit.
Apropos Familie. Zu seinen schärfsten Kritikerinnen gehört Daniela Kickl. Seine in Irland lebende Cousine hat inzwischen (letzter Stand) 159 Briefe an ihn geschrieben. Die meisten beginnen mit „Lieber Cousin Herbert“ und üben meist im ironischen Stil Kritik an seiner Arbeit oder der seiner Partei- und Regierungskollegen aus. In ihrem ersten Brief stellte sie unter anderen folgende Fragen: Wie genau profitiert der kleine Mann von der Kürzung des Arbeitslosengeldes, wenn er für längere Zeit keine Arbeit gefunden hat? Wie genau profitiert der kleine Mann von einem Modell wie Hartz IV? Wie genau profitieren die Kinder des kleinen Mannes von der Einführung der Studiengebühren? Den ersten Brief hat sie im November 2017 geschrieben. „Als ich gehört habe, dass die freiheitlichen Nationalräte bei einer Gedenkfeier anlässlich der Reichskristallnacht nicht geklatscht haben, musste ich meinem Unmut Ausdruck verleihen“, erzählt sie. Sie schritt allerdings erst nach einer Nachdenkphase zur Tat: „Ich habe mir überlegt, ob es nicht gefährlich sei, immerhin sind die ja nicht zimperlich. Aber dann bin ich zum Entschluss gekommen, dass ich in keiner Welt leben will, in der man seine Gedanken nicht äußern kann.“
Antwort auf ihre Briefe hat sie noch keine erhalten. Dafür haben sich andere Familienmitglieder und Schulkollegen bei ihr gemeldet. „Sie haben mir mitgeteilt, dass sie ähnlich denken wie ich. Für mich war es angenehm, zu sehen, dass auch andere in der Familie Herbies Arbeit kritisch sehen.“
Persönlichen Kontakt zu ihrem Cousin hatte sie kaum. „Mein Vater hat 13 Geschwister, unter anderen Herberts Vater Andreas. Als Herbert nach Wien kam, bat mich mein Vater nach meinem Cousin Ausschau zu halten und ihn zu fragen, ob er etwas braucht. Er hat mit „nein, danke“ geantwortet.“ Fast wäre es Ende 2017 zu einer zweiten persönlichen Begegnung gekommen. „Ich war im Parlament eingeladen und habe ihn gesehen, er ist allerdings davongelaufen“, berichtet Daniela und verspricht: „Ich werde ihm weiter schreiben.“ Das wird den Cousin sicher freuen.