Warum glauben Außenstehende über eine Schwangerschaft urteilen zu dürfen?

Im wilden Garten des Lebens

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© Pexels/ Mariam Antadze

Zu alt, zu jung, zu dick, zu dünn, zu busy, zu früh in Mutterschutz: Wie können Schwangere es „richtig“ machen? Ein Flechtwerk aus drei Perspektiven: Wir trafen Psychoanalytikerin Universitätsprofessorin Ulrike Kadi, Schauspielerin Julia Jelinek und Unternehmerin Bettina Dorfer-Pauschenwein.

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Schon klar, einige halten soziale Medien für einen anonymen Boxsack – aber Hasspostings gegen eine Schwangere? Gerichtet waren sie an die Starkomikerin Carolin Kebekus; sie wurde im Jänner Mama. Sie machte die Kommentare in ihrer Show zum Thema – und diese sogleich auch schonungslos lächerlich. Das hilft fürs erste, die Sache irritiert trotzdem.

Die deutsche Comedienne ist diesbezüglich keine Exotin; unter Herzerl und Gratulationen mischt sich im Internet eine Flut an Reaktionen, mit denen prominente Schwangere konfrontiert sind. Abseits des Rampenlichts ist man zurückhaltender, aber nicht urteilsfrei. Es wird bewertet, was das Zeug hält: die Figur, die Haut, das Alter. Arbeitet sie mit großem Bauch, sei das schlecht für das Kind, wenn sie ihre Stunden reduziert, sich zurückzieht,
heißt es, eine Schwangerschaft sei keine Krankheit.

Das Baby ist noch gar nicht da, schon kann man sich – je nach Geschmack des Umfelds – die Medaille als Raben- oder als Helikoptermutter abholen. Woher kommt die Wut, woher das Missverständnis, über etwas so Privates wie eine Schwangerschaft als Außenstehende urteilen zu dürfen? Wie geht es Schwangeren heute mit all dem und wie navigieren sie sich durch Leben und Beruf mit Babybauch?

Wieso erlauben sich Außenstehende eine Meinung zu einer Schwangerschatf?
© Pexels/ Lucas Mendes

Der Bauch als Fantasiemotor

Eine Kernbotschaft: „Aus psychoanalytischer Perspektive gibt es keine allgemeine Erklärung, warum jemand Bemerkungen über eine Schwangere macht, dazu müssten wir mit der Person selbst sprechen“, stellt die Universitätsprofessorin Ulrike Kadi von der Psychosomatischen Frauenambulanz an der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie am AKH klar.

Also: Hasspostings – return to sender, die Kommentare haben viel mehr mit den Menschen, die sie absetzen, als mit den Empfänger:innen zu tun (melden bzw. anzeigen kann man sie trotzdem, einiges wird heute zum Glück strafrechtlich verfolgt).

Psychoanalyse widmet sich unter anderem den Fantasien, die in unserem Denken, Reden oder auch in unseren Träumen mitschwingen. Eine Schwangerschaft scheint ein wahrer Fantasiemotor zu sein, findet sie doch nicht einsehbar im Inneren des Körpers statt. „Bei einer Schwangerschaft bilden oftmals drei einfache, meist nicht bewusste Fragen den Anstoß für unsere Gedankenproduktion: Was ist da genau drinnen? Wie ist es reingekommen? Wie kommt es wieder raus?“, erklärt die Psychoanalytikerin Ulrike Kadi.

Diese Fragen funktionieren als Triebfeder in der Kunst und spielen ebenso in der Medizin eine wichtige Rolle: „Wenn wir auf Ultraschallbilder schauen, fühlen wir uns sicherer: Was wir sehen, wissen wir auch.“ In einem Vortrag widmete sich die Psychoanalytikerin den Annäherungen in der Kunst und durchstreifte dabei Jahrhunderte.

Provokant formuliert: Anstatt die Energie auf kränkende Postings zu verwenden, schuf etwa Leonardo da Vinci erstaunlich akribische Zeichnungen des Embryos. Die Angst von Schwangeren, etwas „Verformtes“ auszutragen, nährt die Auseinandersetzung Patricia Piccininis in ihren Skulpturen, und Künstlerinnen wie Renate Bertlmann oder Birgit Jürgenssen rückten die Kritik in den Mittelpunkt, Frauen als Gebär- und Säuglingsaufzuchtmaschinen zu sehen.

Angekommen in der Gegenwart und bei mehr oder weniger realen Bildern, stellt sich die Frage: Womit sind Schwangere heute in unseren Breiten konfrontiert? „Ein nicht unwichtiger Unterschied gegenüber anderen Zeiten ist die weite mediale Verbreitung von Schwangerschaftsdarstellungen. Da ist es nicht leicht, eigene Ideen und Vorstellungen darüber, was mein schöner schwangerer Körper ist, überhaupt im Blick zu behalten“, beschreibt Ulrike Kadi.

Zudem wird von Frauen vielfach erwartet, Mehrfachbelastungen zu meistern. „Schwanger zu sein bedeutet heute für viele, die eigene Berufstätigkeit nicht zu vergessen, den Vater des Kindes möglichst zu involvieren und vielleicht schon vor der Geburt die Anmeldung im Kindergarten zu erledigen. Dabei ist die Zukunft genauso dunkel, wie es im Bauch einer Schwangeren ist.“

Auf den Bauch hören

„Ich habe am Anfang noch geglaubt, alles läuft weiter wie vorher“, lacht Bettina Dorfer-Pauschenwein. „Ich bin ein strukturierter Mensch, plane gerne. Es war eine große Herausforderung zu akzeptieren, dass schon während der Schwangerschaft unsere Tochter, die grad friedlich auf mir schläft, sagt, wo es lang geht.“ Die Unternehmerin ist Bundesvorsitzende der Jungen Wirtschaft Österreich – und seit wenigen Wochen Mutter.

Positive Reaktionen und viel Rückhalt bestärkten sie in ihrem Vorhaben, Job und Funktion auch schwanger fortzusetzen, sagt sie. „Wir kämpfen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, ich habe eine Verantwortung anderen Frauen gegenüber und ich möchte ein Vorbild für meine Tochter sein. Ich wollte nicht, dass sie mal sagen muss: ,Meine Mama hat mit allem aufgehört, als ich gekommen bin.‘ Aber mir ist auch klar:
Die meisten Männer stellen sich meine Fragen nicht.“

Was sie durchaus überraschte: Es waren ausgerechnet einige wenige Junge, die sich darüber wunderten, dass sie ihre Funktion auch noch mit größer werdendem Babybauch ausübte. Sie tat das gern und geklappt habe es vor allem aus zwei Gründen: Weil sie lernte, Pausen einzuplanen – und weil sie in der Familie und im Unternehmen Unterstützung erfuhr, betont sie. „Ich möchte vermitteln: Familie und Beruf schließen einander nicht aus. Aber
es kann nicht sein, dass eine Mama alles allein managt, es steht und fällt alles mit dem Partner, der Familie und dem Netzwerk, das man braucht.“

Schauspielerin Julia Jelinek stand im Vorjahr bei den Sommerspielen Melk in „Kassandra“ auf der Bühne, drehte einen Film („Achtzig Plus“) und moderierte den Österreichischen Filmpreis – alles mit Baby im Bauch. Ihr Sohn
kam vor gut vier Monaten auf die Welt, nun strahlt er sie während des Interviews entspannt an. Als sie vor sechs Jahren ihre Tochter erwartete, war sie zurückhaltender, beschreibt sie.

Mit der zweiten Schwangerschaft wollte sie möglichst offen umgehen. Dazu gehörte auch, die Angst als freischaffende Künstlerin nicht besetzt zu werden, zu überwinden. „Schwangere sieht man auf Bühnen, in Film und Fernsehen leider noch immer relativ selten“, sagt sie.

Umso schöner erlebte sie positive Reaktionen, besonders eine: Eine junge Regieassistentin bedankte
sich bei ihr, sie darin bestärkt zu haben, dass Beruf und Baby in der Filmbranche vereinbar sein können. Zum Grübeln brachte sie eine andere Frau: „Sie meinte, es wäre besser, wenn wir so weit wären, dass wir eine Schwangerschaft gar nicht thematisieren müssten. – Aber das finde ich schwierig. Wenn wir gar nicht mehr darüber reden, wird Schwangeren noch mehr Druck gemacht. Mir ging es zum Glück gut und ich wollte und konnte arbeiten, aber es war auch anstrengend. Eine Schwangerschaft ist eine bedeutende Veränderung und nicht nichts. Jede Frau muss individuell, unter Berücksichtigung ihrer eigenen Umstände und Bedürfnisse entscheiden dürfen, wie sie damit umgeht.“

Universitätsprofessorin Ulrike Kadi, Schauspielerin Julia Jelinek und Unternehmerin Bettina Dorfer-Pauschenwein im Interview
Universitätsprofessorin Ulrike Kadi, Schauspielerin Julia Jelinek und Unternehmerin Bettina Dorfer-Pauschenwein. © Bettina Frenzel, Daniela Matejschek, Elsner Walter/riccio.at

Was stärkt in der Schwangerschaft?

„Es braucht einen oder mehrere Räume, in denen erlebt, gedacht, mit anderen besprochen werden kann, was sich Neues entwickelt. Es braucht Räume, in denen es – wie bei einem Schwangerenbauch – eine Grenze nach außen gibt, und wo es möglich ist, Befürchtungen anzusprechen und jemanden zu haben, der oder die einen hält“, erklärt die Psychoanalytikerin Ulrike Kadi

„Ich hatte viel Rückhalt. Für meinen Mann und mich wurde klar: Es geht jetzt in erster Linie um uns und unser Kind“, sagt die Unternehmerin Bettina Dorfer-Pauschenwein. „Anfangs waren Zweifel da, ich habe mich immer wieder mit anderen Frauen verglichen und mir gedacht, die haben mehr oder länger gearbeitet. Aber man sieht nur Ausschnitte, jede Situation ist individuell. Man muss für sich den Weg finden, der passt. Meine Mama hat zu mir gesagt: ,So wie du es machst, ist es für euch richtig.‘ Das hat mir sehr geholfen.“

„Schwangere durchleben vermeintlich neun Monate lang das gleiche, aber das stimmt nicht“, sagt die Schauspielerin Julia Jelinek. „Ich wünsche mir, dass wir uns nicht gegenseitig beurteilen, sondern akzeptieren, dass jede Frau ihren Körper und ihre Art damit umzugehen hat, dass Dinge nebeneinander stehen können und dass wir uns im besten Fall gegenseitig inspirieren und unterstützen.“

Um Schwangeren möglichst Last von den Schultern zu nehmen, braucht es ausreichend öffentliche Diskurse, in denen die verschiedenen Aspekte Platz haben, findet Ulrike Kadi. Dazu gehört natürlich auch, die Möglichkeiten für Kinderbetreuung im Blick zu behalten, „damit Schwangersein nicht damit verbunden ist, dass eine Frau möglicherweise längere Zeit nicht weiß, wie sie das händeln kann. Gleichzeitig sollte ein Bewusstsein aufrecht erhalten werden, dass kleine Kinder auch überfordert sein können, wenn es zu viele Bezüge sind, in denen sie sich sehr früh finden.“

Wachsen lassen

Im beruflichen Umfeld klar zu kommunizieren, was für sie geht und was nicht, hätte die Zusammenarbeit jeweils auf beiden Seiten erleichtert, findet die Schauspielerin Julia Jelinek. „Ich halte es auch für wichtig, dass Schwangere ihre Meinung ändern dürfen. Schließlich kann ich zu Beginn nicht wissen, wie es mir in der 32.
Schwangerschaftswoche geht. Gemeinsam lassen sich aber leichter Lösungen finden.“

Der Faktor Zeit ist oft ein Knackpunkt. Es wird etwa der Tag der Geburt errechnet, für Karenz und Co. gibt es konkrete Richtlinien. „Schwangerschaft ist aber etwas, das sich der metrischen Zeit entzieht“, beschreibt die Universitätsprofessorin Ulrike Kadi.

„Wichtig wäre es, das Aneinandergeraten von verschiedenen Zeitvorstellungen zu sehen, zu besprechen und sie auch nebeneinander stehen lassen zu können. Wenn das in einer Gesellschaft gelänge, wäre sie schon sehr reif “, sagt sie. Der Drang, vorwärts zu kommen, alles zu planen, konterkariert solche Ideen. Der Unterschied zwischen Wachsen lassen und Produzieren sei essenziell, „wie in einem Garten des Lebens. In einem wilden Garten wachsen Dinge, die wir nicht erwarten. Wir können nur versuchen, sie zu fördern und zu schauen, dass das eine nicht das andere überwuchert. Mit solchen Prozessen lässt sich Schwangerschaft gut vergleichen.“

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