Geburtstagstalk mit Max Bentlin

Gerald Eschenauer von BUCH13 talkt mit Max D. Bentlin, den es als Antiquar 2018 aus Deutschland nach Kärnten verschlagen hat.

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Gerald Eschenau er und Max Bentlin ©privat

Das D. in Deinem Namen steht für Dirk. Wie reden wir Dich am besten an?

Max, das ist mein alter Ruf- und Doppelname schon von Kindheit an, der sich mittlerweile für meine Freunde, wozu ich euch von BUCH13 natürlich zähle, fest eingebürgert hat.

Was hat Dich bewogen ausgerechnet nach Klagenfurt umzusiedeln?

Maßgeblich die Liebe zu meiner kroatischen Frau Marica, die Nähe zu ihrer Heimat und anderen mediterranen Nachbarländern. Besonders hier in Kärnten, in Klagenfurt am Wörthersee mit seinem wunderbaren Umland. Die Menschendichte im hessischen Frankfurter Raum ist etwa um das Fünffache höher als hier; alleine damit ist schon vieles erklärt!

Wie kommst Du als Deutscher mit den Kärntnern zurecht?

Die Menschen sind kaum anders als anderswo. Ich begegne hier sehr vielen freundlichen und weltoffenen Menschen, auch wenn ich als „Migrant“ gelegentlich gerne mit dem sog. „Alltags-Rassismus“ als „Piefke“ kokettiere. Glücklicherweise merken die meisten aber den Sinn für meinen Eigenhumor, Dinge nicht allzu ernst zu nehmen oder überzubewerten; auch das stärkt Gemeinsinn und Toleranz.

Wie erlebst Du die Österreicher als solche oder welche Unterschiede fallen Dir auf?

Es ist der Abstand, der manche objektivere Beurteilung oder Relation erleichtert. Anders als die Deutschen erlebe ich die meisten Österreicher freundlicher und gelassener. Wobei es natürlich auch hierzulande regionale Mentalitäts-Gefälle gibt … Anders empfinde ich die gerne kultivierte Lässigkeit des hier geläufigen „lei lafn lossn“ als fatale Eigenschaft, eben in eine Agonie gegenüber politischen Ereignissen zu fallen – etwa nach dem Motto „Interessiert mich nicht, weil ich nichts ändern kann“.

Die Menschen sind kaum anders als anderswo

Max Bentlin über die Kärntner

Was zum Beispiel tust Du selber, um politisch etwas zu bewegen?

Jeder kann in seinem Umkreis etwas bewirken, so wie man ein Steinchen in den Wörthersee wirft und dieses Wellen erzeugt. Auch das, was wir hier und heute bereden, das erzeugt kleine Wellen. Wir alle erleben die letzten Jahre zunehmend eine wachsende Verdrossenheit gegen die Entwicklung in Europa, welche sich die letzten Jahr ungewöhnlich polarisiert hat, sei´s über EU-Politik, Migration, Corona, Gendern und nun auch die nahen Kriege. Auch empfinden viele Menschen, dass von der Freiheit, sich zu offen äußern, immer mehr etwas scheibchenweise verlorengeht, so wie man von vorgefertigten Mustern abweicht. Ich unterhalte mich mit vielen Menschen und merke, dass es zunehmend nervt, Dinge nicht mehr ausgewogen anzugehen. Nicht alles war früher besser, aber doch einige. Nicht nur eine gelassenere Vielfalt, sondern zum Beispiel auch die urbane Vielfalt in den Städten vor einem Vierteljahrhundert. Das ist ein sehr tiefes Fass! Es ist noch nicht lange her, dass mir ein fixer Servierer, der sich als junger Syrer hier in wenigen Jahren integriert hat, sehr einfach erklärt hat „Hey, jeder hat doch heute über das Internet die Möglichkeit, sich umfassend zu informieren und ebenso sich einzubringen“. Genau das ist der Punkt! Wenn mehr Menschen dieses Potential – auch unparteilich – nutzen würden, um nicht nur den Fanatikern oder Populisten, die überall am LAUTESTEN sind, das Feld zu überlassen, wäre die Welt vielleicht ein Stückchen besser. Daran arbeite auch ich und versuche als Bildungsbürger in meinem Umfeld mehr ausgewogenen Gemeinsinn zu fördern, sei´s über gelegentliche Beiträge oder auch nur über ein solidarisches Like.

Als ausgebildeter Ökonom bist schon seit ca. 40 Jahren in Medien tätig. 1989 hast du in der südhessischen Kulturmetropole Darmstadt eine City-Buchhandlung und Galerie mit ausgefallen Bildbänden, Kunstdrucken und Objekten quasi aus dem Nichts aufgebaut und damit vom selbstständigen Sortimenter zum online-Antiquar bis heute überlebt. Wie schafft man das?

Man muss ausdauernd und etwas verrückt sein, um einer solchen Berufung zu folgen. Mit meinem unkonvetionellen Sortiment für Illustriertes und Illustres galt ich eher als enfant terrible oder untypisch in einer weithin bürgerlich sortieren Buchhandels-Landschaft. In den 1990er Jahren steuerte ich damit als Paradiesvogel genau in eine barocke Ära und hatte mir mit Ausstellungen von meisterlichen Illustratoren wie Will Eisner, F.K. Waechter, Peter Gaymann, Horst Haitzinger und anderen schon bald einen überregionalen Namen bei den Kreativen gemacht. Ich erinnere mich noch als Ende der 1980er / Anfang der 1990er Jahre die Buchmesse in Frankfurt am Main aus allen Nähten platzte mit Vielfalt. Da wurde auch in Buch und Kunst als auch im Comic-Bereich am ganz großen Rad gedreht. In dieser Zeit habe ich mich in´s Auto gesetzt mit wenig Geld und habe bei Verlagen, in den Großhandelslagern und Händlern nach Schätzen gesucht. Gereist bis hin nach Frankreich und Belgien und zurück, das Auto vollbeladen mit Raritäten, wo Sammler aus dem weiten Umfeld zu meinem lokalen Shop pilgerten, um Kuriositäten zu entdecken. Auch kann ich mich erinnern, dass so manche Kunden etwas irritiert meine „anarchistische“ Buchhandlung verließen als sie „furchtbare Werke“ von z.B. von Manfred Deix, H.R. Giger, Underground-Comix von Robert Crumb, erotische Grafik-Novellen von Milo Manara oder auch andere fantastische Comic-Art in der Auslage sahen. Bei Walter Moers´ Protagonisten und späterem Besteller „Das Kleine Arschloch“ oder Ralf König „Schwulcomix“ brauchte die Akzeptanz für diese Revolution eingangs im Buchhandel sehr lange. Als Ende der 1990er Jahre neben Erwachsenen-Comics sogar noch die offenherzigen Erotik-Fotobände der Edition Reuss, Erotoscopes von Tomi Ungerer und andere Erotica Eingang fanden, rückte sogar die Sittenpolizei mit Auflagen an. Einige Verlage und Händler sind damals an der Prüderie so mancher Staatsanwälte gescheitert. Mittlerweile jedoch hat sich im neuen Jahrhundert durch das Internet vieles verändert, obwohl es auch dort Regeln gibt. 
Mitte der 1990er Jahren verlegte ich mit dem ICON-Verlag aus München einen Comic-Taschenkalender mit einer außergewöhnlichen Datensammlung von Zeichner-Geburtstagen und Interviews mit internationalen Comic-Größen wie Will Eisner, Frank  Miller, Moebius, Regis Loisel, Tannino Liberatore oder Dave McKean u.a. als auch dem Kultur-Professor Bazon Brock, um damit Comic-Art und besonders die Grafik-Novelle als neue Kunstrichtung zu fördern. 
Gleichzeitig war ich auf technischem Wege schon sehr früh innovativ. Bereits 1986 hatte ich noch als Versandhändler meinen ersten IBM-PC selber programmiert und 1998  als einer der ersten Buchhändler eine eigene aktive Webseite Art-Books am Laufen. Heute verkaufe ich ähnlich wie die alten Bouquinisten am Pariser Seine-Ufer meinen exquisiten Restbestand, das allerdings international online und hoffe für mein Konzept einen würdigen Nachfolger zu finden.

Natürlich setzt die Digitalisierung nicht nur neue Lichter, sondern auch tiefe Schatten

Max Bentlin über die Digitalisierung

Wie hat das Internet Dich beruflich geprägt?

Seit dem neuen Jahrtausend hat sich die ganze Medienlandschaft um 180° verändert, und wir sehen heute eine Entwicklung, die auch den Handel weithin radikal verändert. Noch Ende des letzten Jahrhunderts hat einer meiner Großhändler orakelt „Du glaubt doch nicht im Ernst, dass Du jemals ein Buch über das Internet verkaufst“. Zu Anfang dieses Jahrhundert brach dann der große Boom über die online-Märkte los mit allem Ungemach. Vor 20 Jahren habe ich mich gegen den massiven Preisverfall in einem weitgehend noch unkontrollierten Internetmarkt erfolgreich gegen den unlauteren Wettbewerb durchgesetzt. Vor dem OLG Frankfurt wurde 2004 in einen wegweisenden Prozess – auch von der Handelskammer unterstützt – gegen einen privaten ebay-Händler daraufhin die Preisbindung im Internet-Buchhandel durchgesetzt. Dieser juristische Alleingang wurde international in den Medien als auch vom Buchhandel und dem Kulturrat in Berlin gewürdigt. Das hat mir zwar etwas Ruhm, aber nicht unbedingt den gewünschten Erfolg gebracht, weil in den folgenden Jahren sich der ganze Markt verändert hat. Viele Verlage und Einzelhändler aus der Endzeit des letzten Jahrhunderts gibt es heute nicht mehr oder viele Strukturen haben sich völlig verändert, ebenso das kreative Potential des Marktes oder auch sexuelle Movements und Betrachtungsweisen. Und besonders in dem Beruf als Kunstbuchhändler bewegt man sich auf einem spannend interessanten, aber doch schmalen Grat. Man muss bei dem schnelllebigen Wandel im Handel sehr flexibel sein und sich dem Markt rasch anpassen. Meine eigen generierte Webseite mit Shopsystem, noch in 2000 von Hessen-ecommerce gefördert, habe ich 10 Jahre später aufgegeben und diese Aktivität völlig in ebay verlagert; habe also lieber „den Tiger geritten“ als mit ihm zu kämpfen. Heute versende in diesem international größten Sammlermarkt als einer der ältesten online-Antiquare meine „raren Objekte der Begierde“ unter dem Label Art-Books die meisten Bestellungen nach Deutschland, Resteuropa und auch viel nach USA.

Weiterhin jedoch werden über Großmärkte, Discounter und EU-rechtliche Auflagen und Verschärfungen immer mehr kleinere Anbieter auch online vom Markt verdrängt zugunsten von Discountern und Ramschern. Dass ich damit bis heute als einer der letzten Sortimenter auch im Antiquariat überlebt habe, das habe ich primär meiner Spezialisierung und Liebe zur Profession zu verdanken. Man kann nur hoffen, dass es zukünftig eine Renaissance nach besonderen Nischenmärkten gibt, die weder unisono noch über KI bedient werden. 

Wie beurteilst die ganze digitale Entwicklung – jetzt auch KI?

Natürlich setzt die Digitalisierung nicht nur neue Lichter, sondern auch tiefe Schatten. Wir erleben heute, das immer mehr Menschen schon von früh an am Netz hängen, so abhängig wie an einer Nadel! Und genau das ist es, was die berechtigte Sorge an der totalen Kontrolle und Manipulation nährt. Auch die KI als künstliche Intelligenz ist nur so „intelligent“, wie man sie füttert und Algorithmen zulässt. Wer garantiert uns die Kontrolle darüber, WER dieses Ding WOMIT füttert – und dass uns diese „Besen“ (nach Goethes „Zauberlehrling“) nicht irgendwann ganz böse einholen? KI kann man sicher intelligent zum Nutzen anwenden, dennoch müssen wir damit wachsam sein.

Heuer steht am 30. Jänner ein runder Geburtstag bei Dir an. Obwohl Du nicht unbedingt gerne an die Siebzig erinnert wirst, frage ich Dich, was Du Dir für dieses besondere Jahr wünscht?

M: Neben mehr Frieden und Gesundheit auf diesem Planeten wünsche ich mit ganz besonders ein mehr an Gemeinsinn, über den sich Menschen öffentlich mehr einbringen. Diese Chance haben wir alle! Das geht recht einfach im freundlichen Umgang miteinander auf allen Ebenen. Mehr Dialoge ohne Arroganz oder Vorurteile. Dabei können die Jüngeren die Chance nutzen, von den Erfahrungen und dem Wissen der Älteren zu profitieren.  Gemäß der Neujahresansprache unseres Bundespräsidenten Alexander van der Bellen „mehr das Miteinander“ zu pflegen, halte ich es auch mit dieser liberalen Grundidee für gesellschaftliche Lösungen.

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