Stefan Weber: Der Inquisitor

Stefan Weber ist Österreichs bekanntester Plagiatsjäger. Berüchtigt wurde er nun durch die Jagd auf die Journalistin Alexandra Föderl-Schmid. Dabei hatte er an der Uni Klagenfurt Aufdeckerarbeit geleistet. Analyse eines zerrissenen Zerreißers.

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Von Franz Miklautz

Seit es Stefan Weber gibt, kommen Nicht-Akademiker bedeutend leichter durchs Leben als Titelträger. Das hat einen einfachen Grund: Uni-Absolventen schreiben zum Erreichen ihres akademischen Grades Diplomarbeiten und Dissertationen. Und ab dem Moment, in dem diese Arbeiten der Hochschule übergeben und archiviert werden, poppen sie potenziell am Radar von Stefan Weber auf. Der 53-jährige Salzburger ist der alpenrepublikanische „Plagiatsjäger“. Mithin bis über die Grenzen bekannt. 

Bekanntheit – davon lebt Weber. Wie sie zustande kommt, das scheint den promovierten Kommunikationswissenschafter nur am Rande zu interessieren. „Ich habe jetzt sogar eine leicht erhöhte Anfragefrequenz“, sagt Weber zum Kärntner MONAT. „Jetzt“ – damit mein Weber: nach dem Fall Alexandra Föderl-Schmid. Die prominente Journalistin galt als vermisst. Da Föderl-Schmid Zeilen hinterließ, die man als Abschied deuten konnte, stand Österreichs Medienbiotop über 24 Stunden lang Kopf. Kollegen, Chefredakteure, Medienaffine – alle befürchteten das Schlimmste. Und hofften das Gegenteil. Einige betraten mit ihren Berichten schon den Vorhof zum Nachruf. Vielleicht hatten sie „The Newsroom“ nicht gesehen. 

In der wunderbaren US-amerikanischen TV-Serie herrscht in einer Episode hitziges Chaos. Der Grund: Bei einem Amoklauf gerät eine hochrangige Kongresspolitikerin in die Feuersalven. Niemand weiß, ob sie noch lebt, alle rechnen damit, dass sie tot ist. Die TV-Anstalten stürzen sich darauf. Auch ACN, der fiktive Sender der Serie. Während die Live-Nachrichten von einem eingespielten Interview unterbrochen werden, schreit der Kommerzverantwortliche des Senders den ACN-Anchorman an, er solle endlich den Tod der Politikerin verkünden – alle anderen Sender hätten das schon getan. Und in jeder Sekunde, in der er das nicht tue, schalten Tausende Zuschauer auf einen anderen Kanal, brüllt der Kommerzmann. „That‘s the business you‘re in!“ So läuft das Geschäft. – „30 Sekunden“, sagt die Stimme aus dem Regieraum. Dann ist das eingespielte Interview zu Ende und die Kamera hält wieder live auf den Anchorman. Sein Blick schweift ratlos zu den anderen Kollegen – und bleibt an Don hängen. Don ist Produzent der Sendung. Und dann sagt Don: „Nur ein Arzt erklärt eine Person für tot. Nicht die Nachrichten.“ Schweigen.

© Friedrich Bungert/SZ-Photo/picturedesk.com

„She‘s alive“.

Wie sich herausstellt, war Dons Rat Gold wert: „She‘s alive“, schreit eine Redakteurin durch den Newsroom, noch das Krankenhaus am Hörer. Die Politikerin lebt. Und so war es auch mit Alexandra Föderl-Schmid. Die ehemalige STANDARD-Chefredakteurin und heutige Vizechefin der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) wurde lebend gefunden. Gesundheitlich mitgenommen, stark unterkühlt wurde sie unter einer Inn-Brücke in Braunau von einem Polizisten aufgestöbert. Föderl-Schmid kam ins Krankenhaus. But: „She‘s alive.“

Rückblende: Der Um-ein-Haar-Tragödie waren Wochen der Verfolgung vorausgegangen. Bei der SZ war der Verdacht aufgekommen, Föderl-Schmid hätte in ihren Texten Inhalte aus fremder Berichterstattung verwendet, ohne sie entsprechend auszuweisen. Ein No-Go unter Journalisten. Und ein Schlachtschmaus für das rechte Krawallportal NIUS des ehemaligen BILD-Chefredakteurs Julian Reichelt. Das hypte die Sache zur „Plagiatsaffäre“ hoch. Und beauftragte Plagiatsjäger Weber mit der Durchforstung von Föderl-Schmids Dissertation. Auftragswert: schlanke 2000 Euro. Doch Weber nahm an. Warum? Darüber kann man nur spekulieren: Die Vorwürfe gegen Föderl-Schmid kochten bereits in der Öffentlichkeit. Das heißt, um mitzuessen, musste sich Weber nur mehr an den Tisch setzen. 

Weber selbst erklärt in der Dunkelkammer, einem der renommiertesten Podcasts des Landes, dass er seine „Plagiatsfälle medialisiert“. Sprich: Er hängt sie an die große Glocke. „That‘s the business he‘s in.“ Das ist sein Geschäft. Eine Um-ein-Haar-Tragödie trägt dem Plagiatsjäger „sogar eine leicht erhöhte Anfragefrequenz“ ein. Um 2000 Euro – es mag einem das Wort Kopfgeld metaphorisch nicht aus der Rundung gehen – hatte Weber seinen eigenen Ausführungen zufolge Plagiatsverdachtsfälle in Föderl-Schmids Diss gefunden. Und war damit selbst schnurstracks in seinem Blog an die Öffentlichkeit gegangen. Weshalb sich der Kommunikationswissenschafter auch gefallen lassen muss, als einer der Akteure der Treibjagd auf die Journalistin beargwöhnt zu werden. Weber scheint zwei Funktionen in seiner Person zu vereinen: Kläger und Richter.

© Daniel Waschnig

Plagiatsfall „Wickie“.

Dabei kann Weber durchaus Meriten vorweisen. „Er hat Verdienste bei Plagiarismus“, also im Aufspüren von Plagiatsarbeiten, sagt Oliver Vitouch, Rektor der Universität Klagenfurt. Ausgerechnet dort hatte Weber einen seiner aufsehenerregendsten Fälle. 2006 geriet ihm eine Diplomarbeit einer Absolventin in die Hände. Titel: „Wickie und die starken Männer“. Weber wähnte „mehr als 20 Seiten“, auf denen „über weite Strecken wortwörtlich aus dem Internet kopiert“ wurde. Ein „zentrales Ergebnis“ der Forschungsarbeit lautete: „Die Kinder sehen ‚Wickie und die starken Männer‘ gerne, weil die Sendung lustig und spannend ist.“ – „Damit wird man in Österreich Magister – und sogar Assistent“, ätzte Weber damals zu Recht. 

Die Absolventin hatte nach dem Studium als Assistentin an der Uni angeheuert. Nach dem von Weber aufgedeckten Plagiatsfall wollte man ihr Job und Titel abnehmen. Man einigte sich dann aber auf eine einvernehmliche Lösung und gestattete der Frau, die Arbeit nochmal zu schreiben. Wodurch sie ihren akademischen Titel verteidigte.

Weidinger behielt Magister.

Oder Peter Weidinger. Den Villacher ÖVP-Nationalrat nahm Weber 2021 ins Visier. In einem Interview mit der Kleinen Zeitung sagte Weber, Weidinger habe in seiner Diplomarbeit „aus deutschsprachiger Literatur abgeschrieben und Quellen unzureichend oder nicht angegeben. Und zweitens englischsprachige Literatur, die er gar nicht angegeben hat, ins Deutsche übersetzt (…)“. Wohl nicht ganz zufällig schnellte Webers Fallbeil im Gemeinderatswahlkampf auf Weidingers Haupt nieder. Weshalb sich in der ÖVP dampfende Wut Bahn brach: „Die Anschuldigungen wenige Wochen vor der Wahl haben das Wahlergebnis in Villach beeinflusst. Es ist schwer vorstellbar, dass dies ein Zufall ist. Deshalb wäre es nur fair von Stefan Weber, Auftraggeber und Hintermänner offenzulegen“, schnaubte Landesgeschäftsführerin Julia Löschnig. Doch Weber verriet den Auftraggeber nicht. Weidinger wollte auf Anfrage mit der Sache „nichts mehr zu tun haben“. Die Universität Graz, Weidingers Alma Mater, bestätigte Webers Vorwürfe nicht. Weidinger behielt seinen Magister.

Ob er sich, wenn er solche Aufträge übernehme oder am Jagdgejohle eines rechtspopulistischen Onlinemediums auf eine prominente Journalistin mitwirke, nicht Negativfolgen und damit Umsatzrückgang einhandelt? „Schauen Sie“, sagt Weber, „das dreht sich alle drei Jahre“. Nach dem Fall Föderl-Schmid „glauben jetzt halt alle, der Weber legt sich mit den Sozis an“. Und als er sich Weidinger, die ehemalige Arbeitsministerin Christine Aschbacher oder Innenminister Gerhard Karner vornahm, dachte man, es ginge gegen die Schwarzen. Bei Weber hört sich das an, als seien seine Plagiatsjagden heilige Kreuzzüge.

Uferloser Textklau.

In einem weiteren Fall nahm er zwei Dissertationen an der Uni Klagenfurt unter die Lupe. Die Arbeiten „bestehen fast ausschließlich aus einer endlosen Aneinanderreihung von nicht in Beziehung zueinander gesetzten Text-Versatzstücken aus dem Internet. Der Umfang des Textklaus ist uferlos“, sagte Weber 2006 dem STANDARD.

Die Kritik an seinem Vorgehen gegen Föderl-Schmid versteht Weber nicht. Er ortet „eine Krise in der öffentlichen Wahrnehmung“. Ob er sich selbst ideologisch rechts sieht? „Nein“, erklärt Weber, „aber gegen gewisse ‚grüne Positionen‘ bin auch ich“. Im Buch Jetzt. Wie wir unser Land erneuern der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) wähnte Weber 100 Plagiatsfragmente, sagte er der ZEIT. War er anfänglich in den Nullerjahren noch auf bloßer Plagiatsjagd, sei Weber „seine Leidenschaft in den letzten Jahren entgleist“, sagt Vitouch. „Es wurde politisch und seine Aktivitäten bekamen einen rechten Spin. Die Frage ist, welche Agenda damit verfolgt werden soll?“, so der Uni-Rektor. Der als weitere Zutat in Webers Plagiats-Untersuchungen „hohe Emotionalität“ ausmacht. Die gerade auf der Bühne der Wissenschaft fehl am Platz sei. 

Der Grenzgänger.

Weber, das Enfant terrible der Wissenschaft? Diese Sicht, das schlimme Kind der Forschung zu sein, gefällt Weber womöglich. Nur: Ist diese Zuschreibung das ganze Bild? Die Hatz auf Föderl-Schmid, da spielte Weber eine aktive Rolle in einer Kampagne gegen eine linksliberale Journalistin, von der Kollegen berichten, sie sei eine großartige Mentorin, stelle hohe Anforderungen an Mitarbeiter, die höchsten aber an sich selbst. Die Falter-Redakteurin Barbara Tóth, promovierte Historikerin und selbst Begutachterin von Masterarbeiten, überprüfte die von Weber angeprangerten Stellen in Föderl-Schmids Diss. Fazit: „Föderl-Schmids Dissertation ist eine umfangreiche, eigenständige und verdienstvolle Arbeit mit einigen wenigen ärgerlichen Ungenauigkeiten.“ Kein Wort über eine diebische Elster mit Doktorambition. Weswegen Tóth auch sagt: „Das Beispiel Alexandra Föderl-Schmid zeigt die Grenzen der Weber’schen Praktiken auf.“

„Die Behauptung, ich hätte eine Frau fast in den Tod getrieben, ist eine publizistische Verkürzung“, sagt Weber. „Da hat man sich unfassbar im Ton vergriffen.“ Selbst ist der Plagiatsjäger aber offenbar dünnhäutig: Einem Bekannten, der im Trubel um Föderl-Schmids Verschwinden im Internet eine viel beachtete Kritik über Weber schrieb, warf er vor, schuld  daran zu sein, falls man ihm an den Kragen wolle. 

Copy-Paste-Journalismus.

Wer aber dachte, Weber trete jetzt zumindest für eine gewisse Zeit kürzer, der irrt. Er will nun auch „Plagiate im Journalismus“ aufdecken. Er spricht von falschen „Ortsmarken“, wenn Journalisten berichten, aber nicht am Ort des Geschehens gewesen seien, und sieht die Übernahme von Agenturmeldungen kritisch. Er wolle dem „Copy-Paste-Journalismus“ ein Ende setzen. „Es ist ein Unterschied, ob kopierte Texte in der SZ oder in einem Bezirksblatt stehen“, sagt er. Bei letzterem sei das nicht so schlimm. „Aber es kann ja nicht sein, dass in jeder Zeitung das Gleiche steht.“ Womit Weber eine Art Marktregulator gibt: Medienprodukte, die titelübergreifend gleiche Inhalte bieten, würden wohl auch ohne Weber von mündigen Konsumenten als Einheitsbrei erkannt werden.

Matthias Karmasin, Vorstandsmitglied des Presseclubs Concordia, sagt: „Journalismus ist keine Wissenschaft.“ Nicht dass Journalisten deshalb ungenau sein dürften. Das Gegenteil ist der Fall. Jede Ungenauigkeit könnte geklagt werden. Karmasin, selbst Medienwissenschaftler an der Uni Klagenfurt, erklärt, dass „Quellentransparenz ein hohes Gut ist“. Er schließe aber nicht aus, dass die Plagiatsvorwürfe in den journalistischen Texten von Föderl-Schmid „ein Framing sind“. Der Journalistin also nicht mangelnde Quellentransparenz oder einen Verstoß gegen den Ehrenkodex vorzuwerfen, „sondern etwas anderes – in wissenschaftlichen Kontexten Schlimmeres“. 

Medienrecht.

Auf die Feststellung, dass Journalisten ohnehin geklagt werden können, wenn sie Unwahres oder haltlose Behauptungen aufstellen, entgegnet Weber, dass es Inhalte gebe, „die jahrealt sind“, aber dennoch in eigene Artikel übernommen würden. Darin schwingt gewissermaßen mit, dass Journalisten voneinander abschreiben würden, mitunter auch um eine gewisse Texttendenz zu unterfüttern. Abgesehen davon, dass dies ein Pauschalurteil wäre, müssen Journalisten alles, was sie berichten, beweisen können. Sonst greift das Medienrecht. Und das kann vor dem Richter enden.

Dennoch plant Weber, „den Plagiatsbegriff zu modifizieren“. Er wolle einen solchen für den Journalismus schaffen. Das klingt ein wenig nach der Einführung neuer, inquisitorischer Regeln für den Journalismus. Und es klingt nach Weber, der künftig nicht nur wissenschaftliches Fehlverhalten  anzeigen will, sondern auf Hexenjagd im Journalismus geht. Um sie am Scheiterhaufen von Social Media lodern zu sehen. Nach dem Fall Föderl-Schmid wird es nach dem Feuer aber hoffentlich immer heißen: „He“ oder „She‘s alive“.

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